Gesellschaftliche Teilhabe: Die bestbewachte Clubtür des Landes
Die unsichtbaren Türsteher
Wer steht da eigentlich an der Tür? Warum ist es so schwer, an ihm vorbeizukommen? Und wer sind die Türsteher?
Was mich auf meinem Weg bis in die Soziale Arbeit immer begleitet hat, war die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe.
Damals kannte ich die Begriffe nicht. Ich hatte immer nur das Gefühl: Irgendwie ist das alles unfair. Ich hatte einfach schlechtere Startbedingungen – und fragte mich immer wieder:
”Was zur Hölle mache ich falsch?”
Teilhabe glich einem Kampf gegen einen unbesiegbaren Gegner. Je mehr ich es versuchte, desto weiter trieb es mich anfangs ab.
Es war keine bestimmte Person, auf die sich im Rückblick alles zurückführen ließe. Es war das Zusammenspiel von Institutionen, gesellschaftlichen Normen, kulturellen Gegebenheiten und der Logik unseres Zusammenlebens in einer Leistungsgesellschaft. Dieses Sammelsurium aus Faktoren macht es so undurchschaubar – und so schwer zu erklären.
Wer in jungen Jahren ungewollt und unverschuldet vom gesellschaftlichen Normweg abkommt – oder gar nicht erst einsteigt – wird es schwer haben.
Trotz aller alternativen Wege, die es auf Papier gibt: Beworben werden sie selten. Du musst sie selbst finden.
Umwege kosten nicht nur Kraft und Zeit
Ein Hauptschulabschluss, der auf dem Normweg kostenlos ist, kostet auf dem zweiten Bildungsweg an der VHS Osnabrück 850 €.
Ein finanzielles Hindernis: Wer keinen Abschluss hat, arbeitet meist für Mindestlohn – und soll dann auch noch für Bildung zahlen. Bei einem Durchschnittseinkommen von rund 24.000 € brutto pro Jahr ohne Schulabschluss ist das eine massive finanzielle Belastung.
Und die gesellschaftliche Ächtung ist groß. Genauso wie das Unverständnis derer, denen du begegnest, wenn du es – wie ich – nach Jahren doch irgendwie geschafft hast, dir Zugang zu Bildung zu verschaffen. Ich begann ein Lehramtsstudium, aber musste auf viele Ebenen nachholen, was mir fehlte, um dort wirklich anzukommen. Aufholen unmöglich. Denn ohne die passende Abendgarderobe war kein Vorbeikommen am Türsteher.
Und dann prallt dieses Selbstverständnis der sozioökonomisch Bessergestellten auf deinen unsichtbaren Kampf um Teilhabe.
“In deinem Alter würden mich meine Eltern auch nicht mehr unterstützen!”
“Warum hast du so lange studiert?”
Sätze, die mir persönlich entgegengebracht wurden – ohne das auch nur jemand eine Ahnung davon hatte, warum ich mein Erststudium erst mit Mitte Zwanzig überhaupt beginnen konnte.
Jeder kann es schaffen – aber nicht alle
In unserer Leistungsgesellschaft ist die Botschaft simpel: Jeder kann es schaffen, wenn er oder sie nur will. Du musst es nur wollen. Leistung bringen, dann bekommst du etwas zurück. Teilhabe ist der Lohn für die Bringschuld des Einzelnen.
Das ist die neoliberale Hustle-Mentalität: Alles auf die Einzelperson abwälzen, statt Systeme aufzuweichen. Auf dem Papier ist das Schulsystem durchlässig. Jeder kann bis ins Studium kommen oder ein Unternehmen gründen. Oft höre ich:
“Mir hat auch keiner was geschenkt!”
Oder:
“Das Leben ist unfair, ist halt so!”
Das mag beides stimmen. Trotzdem hat Teilhabe nichts damit zu tun, auf gut Deutsch gesagt, einfach nur “etwas in den Arsch gesteckt“ zu bekommen.
Die meisten Behinderungen werden beispielsweise im Laufe des Lebens erworben – sie sind nicht angeboren.
Check deine Privilegien – erkenne deine Macht
Du glaubst, dir alles erarbeitet zu haben? Und dass nur das zählt?
Dann nimm dir bitte einen Moment Zeit und wirf einen ehrlichen Blick auf das sogenannte Privileg & Power Wheel.
Damit kannst du ganz konkret und objektiv nachvollziehbar erfassen, welche Faktoren dir Macht und Vorteile verschaffen – ganz ohne eigenes Zutun.
Und um einen Blick dafür zu bekommen, wie viele andere Menschen von diesen Faktoren benachteiligt werden – ebenfalls, ohne etwas dafür oder dagegen getan zu haben.

Charta der Vielfalt e. V. – Arbeitsblatt »Privilege and Power Wheel«
Ausgrenzung durch die Ausgegrenzten
Ein Nachbar der Einrichtung, in der ich arbeite, sprach mich auf der Straße an und sagte sinngemäß:
“Warum müssen die (unsere Klient*innen) denn hier sein? Können die nicht auf irgendeinen Bauernhof?”
Ausgerechnet in einem Sanierungsgebiet der Stadt Osnabrück – einem Viertel, das selbst stark von sozialer Ungleichheit geprägt ist – wollen die Ungleichen, dass die noch Ungleicheren das Viertel verlassen – weil sie stören.
Ich antwortete ihm:
“Sie sind Teil der Gesellschaft, wie Sie und ich. Und das müssen wir gemeinsam aushalten."
Teilhabe sieht anders aus
Ich habe ein anderes Verständnis von Teilhabe. Teilhabe muss von denen gestaltet werden, die längst Zugang haben. Die Hand reichen. Einladen. Hürden abbauen. Anderssein willkommen heißen.
Jemand, der vor der verschlossenen Tür steht, wird kaum hineinkommen – wenn niemand öffnet.
Wenn unsere Gesellschaft Teilhabe ernsthaft will, dann muss sie diese auch möglich machen. Eine Tür ohne Klinke in die Mauern unserer Gesellschaft einzubauen und dann sagen: “Du bist ja selbst schuld, wenn du sie nicht aufbekommst”, reicht nicht aus.
Das ist kein Versäumnis – das ist Zynismus.
Teilhabe braucht eine gesellschaftliche Bringschuld. Immer mit der Frage verbunden:
“Was kann das System unternehmen, damit alle wirklich teilhaben können?”
Ist das eine Utopie?
Was denkst du? Schreib mir gerne deine Gedanken in die Kommentare. Oder direkt an quatschen@dennisheukamp.de

Hi Dennis,
Sehr gut geschrieben und auf den Punkt gebracht. Es war leider schon immer so, dass die „Schwachen“ ausgegrenzt werden. Ob behindert, Zuwanderer oder anderes. Integration betrifft alle und nicht nur die, die integriert werden sollen. Aber dadurch könnte natürlich die eigene Konkurrenz größer werden.
Ich finde deinen Blog sehr interessant und bin gespannt was noch so dazu kommt.
Weiter so und bis bald ✌️
Vg Fred
Ps: „Ich gebe dir einen Blog in die Hand und sage schreib!… “ 😅
Hi Fred!
Danke für dein Feedback.
Es bleibt ein weiter Weg, bis Teilhabe wirklich gelebt wird.
Bis dahin, „schreib ich nochmal!“
Gruß
Dennis